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Stellungnahme zum Sicherheitspolitischen Bericht

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Die Allianz Sicherheit Schweiz hat sich im Rahmen der Anhörungen in der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats zum Sicherheitspolitischen Bericht mit folgender Stellungnahme vernehmen lassen:

1. Zusammenfassung und Beurteilung:
  • Die sicherheitspolitische Lage in und um Europa hat sich verschlechtert. Die Stabilität wird im SiPolB überschätzt. Die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen werden aber ungenügend hervorgehoben. Durch die verschlechterte Lage sind die vitalen Interessen der Schweiz gefährdet. Die zu ihrer Wahrung vorhandenen und noch benötigten Mittel werden im Bericht nicht angemessen dargelegt.
  • Aus der Analyse zur Bedrohungslage sollten auf einer Zieldefinition basierend Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Die alleinige Darlegung der Lage genügt nicht. Es bedarf der Handlungsempfehlungen sowie der entsprechenden Priorisierung.
  • Ein Ad hoc-Krisenmanagement auf Stufe Bund genügt nicht. Es braucht einen Krisenstab.
  • Kritische Infrastrukturen müssen besser geschützt werden.
  • Jede Sicherheitsorganisation ist nur so gut wie ihre Ressourcen (Mensch & Technik) verfügbar, geschult und einsatzbereit sind – Sicherheit braucht Sicherheitssysteme.
  • Energiepolitik ist Sicherheitspolitik. Die Gefahr einer Stromunterversorgung im Winter kommt zu kurz.
  • «Hybride» Konfliktführung relativiert die militärische Bedrohung nicht, sondern macht sie gefährlicher.

 

2. Stellungnahme

Nicht nur analysieren, sondern auch Handlungsempfehlungen als Schlussfolgerung aussprechen

Der Allianz Sicherheit Schweiz erscheint die Lageanalyse des sicherheitspolitischen Berichts umfassend – fast jede Bedrohung und Gefahr wird erwähnt. Die relevanten Entwicklungen der letzten Jahre werden benannt, wenn auch mit diplomatischer Zurückhaltung. Es könnte viel deutlicher gesagt werden, dass die Grossmächte in verstärkter Konkurrenz zueinanderstehen. Wenn sich die globalen Kräfteverhältnisse von den der Schweiz geographisch und wertepolitisch nahestehender westlicher Staaten wegverschieben, gewinnen autoritär regierte Staaten an Macht. Sie können sich besser untereinander koordinieren und werden unempfindlicher gegenüber wirtschaftlichen Sanktionen des Westens. Der Bericht schlussfolgert, dass all dies die Regionalisierung von Ordnungssystemen fördert. Welche Konsequenzen das für die neutrale Schweiz hat und wie die Schweiz handeln kann, bleibt unbeantwortet. Dies ist nur ein Beispiel, dass es im Bericht zu oft den Lesenden überlassen bleibt, die Schlussfolgerungen selbst zu ziehen.

Stabilität wird überschätzt

Globalisierung und technologischer Fortschritt führen dazu, dass weit entfernte Ereignisse die Schweiz in Mitleidenschaft ziehen. Covid-19 hat gezeigt, dass es für Behörden eine grosse Herausforderung ist, die Informationshoheit zu wahren. Der Schluss liegt nahe, dass sich die öffentliche Meinung nicht nur durch eine gezielte, machtpolitisch motivierte Desinformationskampagne einer Grossmacht beeinflussen liesse, sondern auch von anderen Akteuren. In mehreren europäischen Ländern haben extreme Parteien an politischem Einfluss gewonnen. Eine Instabilität im nächsten Umfeld der Schweiz hätte, trotz heute geringer Wahrscheinlichkeit, ein hohes Schadenspotential. Diese Stabilität wird aus Sicht der Allianz Sicherheit Schweiz im Bericht überschätzt. Entgegen den Hoffnungen in den 1990er-Jahren ist es nicht gelungen, im Umfeld Europas stabilere Verhältnisse herbeizuführen. Zudem sind Nordafrika, die Sahelzone, der Mittlere Osten und sogar Osteuropa und die Arktis innerlich instabiler geworden oder von Grossmächten härter umkämpft. Der steigende Druck von Migration auf Europa hat zudem eine neue Qualität erhalten, indem Staaten diese machtpolitisch zu instrumentalisieren beginnen. Der Bericht hat dabei nicht aufgenommen, dass während des Vernehmlassungszeitraums nicht nur die Türkei, sondern auch Weissrussland die Migration als Druckmittel eingesetzt hat. Die Schweiz darf deshalb nicht mehr nur von der Bedrohung antiwestlicher Akteure ausgehen, sondern muss die neue Lage als instabiler bezeichnen.

Ad hoc-Krisenmanagement auf Stufe Bund genügt nicht mehr

Die offizielle Auswertung des Krisenmanagements des Bundes während der Covid-19-Pandemie steht noch bevor. Aus Sicht der Allianz hat die Pandemie aber bereits jetzt systematischen und nicht nur punktuellen Verbesserungsbedarf aufgezeigt, beispielsweise in Form eines Krisenstabs oder eines permanenten operativen Bundesführungsstabs. Angesichts der jüngsten Pandemieerfahrung hätte der Bericht von einer ausführlicheren Rückschau auf die vergangenen strategischen Führungs- und Sicherheitsverbundübungen profitiert. Solche Übungen sollten nicht in zu grossen Abständen erfolgen. Seit der Sicherheitsverbundsübung 2019 (SVU 19) sind bereits über zwei Jahre vergangen und im neuesten Bericht wird nicht einmal ein perspektivisches Jahr für die nächste Übung genannt.

Kritische Infrastrukturen müssen besser geschützt werden

Der Schutz kritischer Infrastrukturen (kI) hat viel mehr Dimensionen, als im Bericht beschrieben. Dieser schreibt lediglich, dass die Schweiz auf kI ausserhalb ihres eigenen Territoriums angewiesen ist. Umgekehrt befinden sich aber auch auf Schweizer Hoheitsgebiet kI, deren Schädigung weit über die eigenen Landesgrenzen hinaus ernste Konsequenzen hätten. Die Schweiz erbringt deshalb mit ihren Sicherheitsanstrengungen im eigenen Land einen solidarischen Beitrag zur gesamteuropäischen Sicherheit. Für die im Bericht ungenügend beschriebenen Neutralitätspflichten der Schweiz ergibt das eine neue Dimension. Es sind Angriffe auf Ziele in der Schweiz denkbar, die sich eigentlich nicht gegen sie als Land richten. Ein potentieller Angreifer wählt aus seiner «hybriden» Angriffspalette jenes Mittel, dass ein Ziel mit höchster Erfolgswahrscheinlichkeit erreicht. Angesichts von immer weitererreichenden und präziseren militärischen Angriffssystemen und der ohnehin Raumunabhängigen Cyberbedrohung bietet die geographische Distanz der Schweiz zu Konfliktgebieten keinen zuverlässigen Schutz mehr. Kritische Infrastrukturen müssen nicht nur am Boden vor simpler Sabotage oder Abstandswaffen geschützt werden, sondern auch in der Luft und im Cyberraum. Dazu gehören auch die Vorkehrungen gegen Gefahren infolge technischer Störungen oder extremer Naturereignisse.

Jede Sicherheitsorganisation ist nur so gut, wie ihre Ressourcen (Mensch & Technik) verfügbar, geschult und einsatzbereit sind – Sicherheit braucht Sicherheitssysteme.

Ohne Versorgungssicherheit keine Resilienz. Nach Ende des Kalten Krieges wurde landeseigenen Versorgungskapazitäten aus betriebswirtschaftlichen Effizienzgründen abgebaut und die Schweiz verliess sich stärker darauf, dass ihre guten internationlen Beziehungen und schriftliche Abmachungen ihr auch im Krisenfall die notwendigen Einfuhren ermöglichen würden. Die Covid-19-Pandemie hat klar gezeigt, dass diese Rechnung nicht aufgeht und diese Annahme falsch war. Für die Sicherstellung der Einsatzbereitschaft (MRO) der heutigen Systeme ist deshalb eine möglichst grosse Unabhängigkeit anzustreben. Und gleichzeitig soll die Ansiedlung der für künftige Systeme benötigten Technologien gefördert werden. Es geht dabei nicht nur um die im SiPolB erwähnten Technologien wie IKT und Sensorik, sondern insbesondere auch um die Instandhaltung der heutigen Systeme, die oft über Jahrzehnte im Einsatz verweilen, aber auch um wirklich neue Technologien wie zB Augmented Reality und Artificial Intelligence. Auch Kompensationsgeschäfte (Offset) sind ein Teil der möglichen Fördermassnahmen. Hier muss sichergestellt werden, dass aus den anstehenden Beschaffungen mit den USA ein nachhaltiger Technologietransfer stattfindet. Wie die Deloitte-Studie zum Beschaffungsablauf gezeigt hat, könnten durch frühzeitige Zusammenarbeit mit der Schweizer Industrie viel bessere Resultate erreicht werden. Diese Resultate sind nicht nur finanzrelevant sondern ebenso sicherheitsrelevant. Dem muss auch in einem SiPolB die gehörige Beachtung geschenkt werden.

Energiepolitik ist Sicherheitspolitik

Der sicherheitspolitische Bericht berücksichtigt richtigerweise auch eine energiepolitische Dimension . Wenn beispielsweise die Armee durch Gewinnung und Nutzung erneuerbarer Energie ihre Versorgungsautarkie im Einsatz stärkt, ist das ein gutes Beispiel dafür, wie Umwelt- und Sicherheitspolitik symbiotisch betrieben werden können. Gemäss dem Risikobericht des BABS (2020) stellt eine langandauernde Strommangellage während den Wintermonaten das wirtschaftlich grösste Risiko für die Schweiz dar. Ihre Eintrittswahrscheinlichkeit wird sogar deutlich höher eingeschätzt als noch 2015. Diese Gefahrt kommt im sicherheitspolitischen Bericht zu kurz.

«Hybride» Konfliktführung relativiert die militärische Bedrohung nicht, sondern macht sie gefährlicher

Der einseitige Fokus des SiPolB auf «Hybride Konfliktführung» verleitet zum Fehlschluss, die Kriegführung habe sich grundlegend verändert, sodass bestehende Mittel unnötig wären oder nicht ersetzt werden müssen. Wie der Blick an die Grenzen Europas zeigt, setzen Staaten ihre Interessen nach wie vor auch mit traditionellen militärischen Mitteln durch. Und als Drohmittel sind sie für Grossmächte, gerade im «hybriden» Verbund mit nichtmilitärischen Druckmitteln, keineswegs das letzte Mittel. Sie stellen auch im 21. Jahrhundert die harte Währung in den internationalen Beziehungen dar. Das Schicksal der Ukraine erinnert daran, dass sich ein Land ohne feste Bündnispartner auf seine eigene Armee verlassen können muss. Der Bericht muss darum die auch nach der Umsetzung der WEA absehbaren empfindlichen Ausrüstungs- und Bestandeslücken offen benennen. Sonst suggeriert er der Öffentlichkeit eine trügerische Sicherheit und führt zum Fehlschluss, nicht in die Modernisierung der Luft- und Landstreitkräfte investieren zu müssen. Ein Bekenntnis zur eigenen Armee verlangt das Benennen unangenehmer Wahrheiten und die Beschaffung neuer Mittel.

Organisierte Kriminalität – quo vadis?

Organisierte Kriminalität, verbotener Nachrichtendienst und gewalttätiger Extremismus stellen den Rechtsstaat vor schwierige Herausforderungen, wie er die öffentliche Sicherheit auch in Zukunft gewährleisten soll, ohne die individuellen Bürgerrechte empfindlich einzuschränken. Dabei haben die Behörden nur schon mit der Eindämmung des Hooliganismus Mühe – dieses Phänomen ging im Sicherheitspolitischen Bericht zu Unrecht vergessen.

Bundesrat muss Verantwortung wahrnehmen und Gefahren priorisieren

Fachleute können der Lageanalyse des Berichtes alle denkbaren Gefahren und Bedrohungen entnehmen, weil sie auch die nicht oder zu wenig beschriebenen Risiken anhand des Geschriebenen folgerichtig ableiten können. Aber die letztendlich hochpolitische Gewichtung all dieser Risiken darf der Bundesrat nicht allein der von Partikularinteressen und kurzfristiger Medienaufmerksamkeit geprägten öffentlichen Debatte überlassen. Er muss anhand der vitalen Landesinteressen, der Gefährlichkeit für die Erreichung dieser Ziele und plausibler Szenarien (Eintretenswahrscheinlichkeit) plausibilisieren, in welche sicherheitspolitischen Instrumente kurz- und mittelfristig mehr oder weniger investiert werden muss als noch im letzten Berichtzeitraum antizipiert.

Übergeordnete Ziele sind mit Bezug zur Verfassung zu formulieren

Um die Nachvollziehbarkeit der Priorisierung von Gefahren zu verbessern, sollten (Verfassungs-)Ziele den Ausgangspunkt des Berichtes bilden. Damit würde der Bundesrat dem In- und Ausland selbstbewusst signalisieren, dass sich die Schweiz in guten wie in schlechten Zeiten von keiner Seite gegen eine andere instrumentalisieren lässt und dass sie ihr staatliches Gewaltmonopol einzig für die Selbstverteidigung nutzt. Der sicherheitspolitische Bericht kann sich dabei beispielsweise am Bericht von 1990 orientieren:

  • Friede in Freiheit und Unabhängigkeit;
  • Wahrung der Handlungsfreiheit;
  • Schutz der Bevölkerung und ihrer Lebensgrundlagen;
  • Behauptung des Staatsgebietes;
  • Beitrag an die internationale Stabilität, vornehmlich in Europa.
 
3. Fazit

Die Allianz Sicherheit Schweiz teilt die Einschätzung, dass die internationale Entwicklung und mit ihr die Bedrohungen und Gefahren für die Schweiz weiterhin von grossem Tempo und Ungewissheit geprägt sind. Auch unser Land muss sich seinen Ruf als «sicheres Land» immer wieder aufs Neue beweisen. In unsicheren Zeiten muss der Bundesrat umso aktiver kommunizieren, wie er die Interessen des Landes zu wahren gedenkt (und nicht nur welche Gefahren er sieht). Der Sicherheitspolitische Bericht sollte deshalb erstens in einem kürzeren Legislatur-Rhythmus erscheinen. Zweitens sollte der Bericht strukturell von den vitalen Landesinteressen ausgehen (analog früherer Berichte). Das In- und Ausland können bereits dem jährlichen Lagebericht des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) entnehmen, wovon sich die Schweiz bedroht sieht. Um die richtigen Schlüsse zu ziehen, soll der Bundesrat deshalb im sicherheitspolitischen Bericht nicht nur die Bedrohungen analysieren, sondern von den Zielen ableitend, eine Priorisierung der Massnahmen zur Bewältigung von Bedrohungen vornehmen. Der Sicherheitspolitische Bericht wird für die nächsten Jahre das wichtigste Grundlagendokument für die vielen Teilbereiche im Dienste der Sicherheit der Schweiz darstellen. Deshalb vermisst die Allianz klarere Aussagen darüber, was das Land leistet, und was es noch leisten muss, um auch in einer unsichereren Welt als ein Land zu gelten, in dem Menschen in Freiheit, Frieden und Wohlstand leben können.