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365 Tage Krieg in der Ukraine

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Der russische Angriffskrieg kam für viele überraschend und traf die Schweiz unvorbereitet. Unvorhersehbar war der Angriff jedoch nicht. Die Allianz Sicherheit Schweiz warnte beispielsweise am 24. Januar 2022 im Rahmen zur Beratung des Sicherheitspolitischen Berichts (SipolB): «Die sicherheitspolitische Lage in und um Europa hat sich verschlechtert. Die Stabilität wird überschätzt. Die vitalen Interessen der Schweiz sind gefährdet». Knapp ein Monat später, am Morgen des 24. Februars 2022, rollten russische Panzer über die ukrainische Grenze. Stand heute ist keine Entspannung im Ukraine-Krieg in Sicht. Vielmehr nehmen Konflikte und Gewalt weltweit zu.

Wie muss, kann und soll sich die Schweiz verhalten, wenn durch eine völkerrechtswidrige Invasion die Nachkriegsordnung Europas zerstört wird? Die Geschichte lehrt uns, dass die Erfüllung von Forderungen kein Mittel zur Eindämmung von Aggressoren ist. Das war auch der Fall, als die Italiener 1935 einen brutalen Eroberungskrieg in Abessinien führten. Oder 1938, als das Sudetenland über den Kopf der Tschechoslowakei hinweg an Deutschland gegeben wurde. Passivität ermutigt Aggressoren, ihre Interessen mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund verbietet es sich, vom gemütlichen Schweizer Wohnzimmer aus die Ukraine aufzufordern, unter Abtretung eines Teils ihres Staatsgebiets für einen Verhandlungs- und Verzichtsfrieden Hand zu bieten, damit es uns besser geht – Wir brauchen in unserem Denken und Handeln mehr Churchill und weniger Chamberlain.

Doch kann die Schweiz aus 365 Tagen Krieg in der Ukraine auch Lehren für sich ziehen? Ja. Sie kann und muss…

…die bewaffnete Neutralität der Schweiz sicherstellen. Das Neutralitätsrecht ist eindeutig: Wir führen keinen Krieg, beteiligen uns an keinem Krieg, stellen unser Territorium nicht für fremde Kriegshandlungen zur Verfügung und liefern auch keine Waffen an kriegsführende Parteien. Aber nur wer zum Schutz des Friedens auf eigenem Territorium in der Lage ist, kann ihn anderswo vermitteln. Die bündnisfreie Schweiz muss sich deshalb auf allen Ebenen gegen Bedrohungen verteidigen können. Hierzu braucht es ein Gesamtkonzept für die Verteidigungsfähigkeiten der Schweiz, woraus der notwendige Mittelbedarf abgeleitet werden kann. Die Schweizer Armee muss fähig sein, den verfassungsmässigen Kernauftrag der Verteidigung zu erfüllen und einen Kampf der verbundenen Waffen zu führen. Denn nur wenn die eigene Sicherheit gewährleistet ist, kann die Schweiz ihre Neutralität bewahren und Frieden vermitteln.

…ausrüsten statt abrüsten. Aufgrund unserer Verpflichtung zur Neutralität nimmt die Schweiz an keinen Militärbündnissen (bspw. NATO) teil. Dieser Schweizer Weg war in der Vergangenheit der richtige und wird es in der Zukunft auch sein. Das Abseitsstehen hat aber seinen Preis: Die Schweiz muss in der Lage sein sich selbst zu verteidigen. Wenn Bündnismitglieder zwei Prozent ihres Bruttoinlandprodukts ausgeben, um sich zu schützen, muss die Schweiz im Minimum ein Prozent ihres BIPs bis spätestens 2030 ausgeben, wenn nicht mehr.

 

  • …die Bodentruppen modernisieren und eine vollständige Ausrüstung vorantreiben. Auf Grundlage des Berichts «Zukunft der Bodentruppen» und der auszuarbeitenden Gesamtkonzeption für die Verteidigungsfähigkeiten ist eine Erhöhung der Bodentruppen einzuleiten. So soll die Armee fit für die Zukunft werden. Bei der Aufstockung der Truppen und der Modernisierung des Materials muss die Abwehrfähigkeit gegenüber einem konventionellen Krieg ausreichend berücksichtig werden. Moderne Konflikte verlangen eine Verteidigung in allen Räumen: Boden und Luft, aber auch im maritimen Raum, Weltraum, Cyberraum und elektromagnetischen Raum. Dementsprechend muss auch dem Auf- und Ausbau der Schweizer Cyberkapazitäten eine hohe Priorität eingeräumt werden.

  • …Drohnen für den militärischen Einsatz beschaffen. Drohnen haben in den Konflikten der letzten Jahre zunehmend an Bedeutung gewonnen. Sei es in Form von Sensoren, um ein detailliertes Lagebild zu gewinnen, als Effektoren von bewaffneten Drohnen oder um die Präzision bestehender Wirksysteme zu erhöhen. Der Ukrainekrieg zeigt, dass der Einsatz von Drohnen für Streitkräfte unerlässlich geworden ist und noch an Wichtigkeit gewinnen wird: Die technologische Entwicklung von Drohnen, Robotik und künstlicher Intelligenz verläuft rapide. Die Schweizer Armee setzt zwar bereits Drohnen verschiedener Grössen als Sensoren ein, im Ländervergleich zeigt sich aber, dass die Schweiz im Bereich der militärischen Drohnentechnologie bereits in Rückstand geraten ist.

  • …üben, üben und üben. Die Pandemie hat uns gelehrt, dass Theorie und Praxis oft weit auseinanderliegen. Damit dies ein bedauerlicher Einzelfall bleibt, ist die Einsatzfähigkeit der Armee regelmässig zu üben. Nur so können Fehler in der Ausbildung und Materialbereitstellung gefunden und behoben werden. Denkbar ist beispielsweise die Überprüfung der tatsächlichen Verteidigungsfähigkeit der Armee durch eine Gesamtverteidigungsübung.

  • …sich selbst schützen können. Ohne eigene Rüstungsindustrie kann die Schweiz die Waffensysteme ihrer Armee nicht einsatzfähig halten und neuen Anforderungen anpassen. Weil der Schweizer Heimmarkt zu klein ist, sind Rüstungsexporte mindestens an uns befreundete Staaten in jedem Falle zu ermöglichen, damit die Schweiz wieder als verlässlicher Partner wahrgenommen wird und die Schweizer Rüstungsindustrie wieder Zugang zu Rüstungsausschreibungen erhält.